Mathematik für Biologiestudierende¶

Wintersemester 2023/24

  1. November 2023

© 2023 Prof. Dr. Rüdiger W. Braun

Binomialverteilung¶

  • $B_{n,p}(k)$ ist die Wahrscheinlichkeit von genau $k$ Erfolgen, wenn ein ja/nein-Experiment mit Erfolgswahrscheinlichkeit $p$ genau $n$-mal unabhängig wiederholt wird $$ B_{n,p}(k) = \begin{pmatrix} n \\ k \end{pmatrix} \cdot p^k \cdot (1-p)^{n-k} $$
  • $B_{n,p}$ bezeichnet man als Binomialverteilung

Beispiel Parasiten¶

Bestimmte Fische erkranken mit 15% Wahrscheinlichkeit an einem Parasiten.

Wir beobachten 47 Fische. Mit welcher Wahrscheinlichkeit erkranken genau 5 Fische?

\begin{align*} B_{47, 0.15}(5) &= \begin{pmatrix} 47 \\ 5 \end{pmatrix} \cdot 0.15^5 \cdot 0.85^{42} \\ &= 1533939 \cdot 0.0000759375 \cdot 0.0018541 \\ &= 0.126433 \end{align*}

In [1]:
from scipy import stats
In [2]:
P = stats.binom(47, 0.15)
In [3]:
P.pmf(5)
Out[3]:
0.12643265696974557

Kumulierte Verteilung¶

Die interessantere Frage ist: Mit welcher Wahrscheinlichkeit erkranken höchstens 5 Fische?

$$k$$ $$B_{47, 0.15}(k)$$
0 0.00048
1 0.00399
2 0.01621
3 0.04292
4 0.08331
5 0.12643
$$\sum$$ 0.27335
  • Das ist umständlich.
  • Mit P.cdf erhält man die kumulierten Werte der Binomialverteilung

"cdf": cumulative function

In [4]:
P = stats.binom(47, 0.15)   # an dieser Stelle redundant
In [5]:
P.cdf(5)
Out[5]:
0.273346361465445

Graph der Binomialverteilung B(47, 0.15)

Wir haben die orange Fläche im Bild ausgerechnet.

Mit welcher Wahrscheinlichkeit erkranken mindesten 6 Fische?

  • "Mindestens 6" ist das Gegenteil von "höchstens 5"
  • Antwort $1-0.27335 = 0.72665$

Fische in saubererem Wasser¶

  • Es gelingt, die Erkrankungsraten der Fische um 5 Prozentpunkte auf 10% zu senken
  • Wie hoch ist nun die Wahrscheinlichkeit, dass höchstens 5 Fische erkranken?
In [6]:
P = stats.binom(47, 0.10)
P.cdf(5)
Out[6]:
0.6714311028538673

Graph der Binomialverteilung B(47, 0.10)

Beispiel zur Binomialverteilung: $L$-Bakterien¶

  • Chiralität: Manche Moleküle kommen bei gleicher chemischer Zusammensetzung in zwei verschiedenen geometrischen Formen vor. Man bezeichnet dann eine von beiden als "rechtsdrehend", die andere als "linksdrehend"
  • Von einem bestimmten Bodenbakterium gibt es zwei Varianten, je nachdem ob ein bestimmtes Molekül in der linksdrehenden oder der rechtsdrehenden Version bevorzugt aufgenommen wird. Wir nennen die beiden Varianten $L$-Bakterium und $R$-Bakterium.
  • In ungestörtem Boden befinden sich 75% $L$-Bakterien und 25% $R$-Bakterien.
  • Die Bakterien werden einem Pestizid ausgesetzt. Nach einigen Generationen werden die Nachkommen getestet, ob sie rechts- oder linksdrehende Varianten aufnehmen
  • 13 der 27 Nachkommen sind $R$-Bakterien. Ist dieses Ergebnis so ungewöhnlich, dass man einen Einfluss des Pestizids vermuten muss?

$L$-Bakterien: Fortsetzung¶

  • Mit Wahrscheinlichkeit \begin{equation*} B_{27,\,0.75}(14) = \begin{pmatrix} 27 \\ 14 \end{pmatrix} \cdot 0.75^{14} \cdot 0.25^{13} = 0.005326 \end{equation*} sind 14 von 27 Bakterien $L$-Bakterien
  • Das ist aber nicht die richtige Frage.

$L$-Bakterien: Fortsetzung¶

  • Wenn weniger als 14 der Bakterien $L$-Bakterien gewesen wären, hätten wir das noch ungewöhnlicher gefunden
  • Wir suchen also die Wahrscheinlichkeit, dass von 27 Bakterien höchstens 14 $L$-Bakterien sind,
  • d. h. wir suchen \begin{equation*} \sum_{k=0}^{14} B_{27,\,0.75}(k) \end{equation*}
  • Wir suchen also einen kumulierten Wert der Binomialverteilung
In [7]:
P = stats.binom(27, 0.75)
P.cdf(14)
Out[7]:
0.0077756082665356736

Versuchsplanung¶

Extinktionsexperiment¶

  • Ein Extinktionsexperiment wird geplant, bei dem die Versuchstiere eine einmal erlernte Aufgabe wieder verlernen sollen. Dazu sollen zuerst mindestens 50 Tiere diese Handlung erlernen. Aus früheren Versuchen weiß man, dass dies nur bei 80% der Versuchstiere gelingt.
  • Wenn man also zu Beginn der Verlernphase 50 Tiere haben will, welche die Aufgabe gelernt haben, dann muss man deutlich mehr als diese 50 Tiere trainieren.
  • Wie viele?

Gegenfrage

  • Welche Sicherheit will ich haben, dass genügend Tiere die Aufgabe erlernt haben?
  • Sagen wir: 90%
  • Nun muss man zweistufig vorgehen: Für jedes feste $n$ schaut man nach, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass 50 oder mehr Tiere die Aufgabe erlernt haben. Als Antwort gibt man das kleinste $n$, bei dem diese Wahrscheinlichkeit groß genug ist.
In [8]:
P = stats.binom(70, 0.80)
P.cdf(49)  # muss kleiner als 0.10 sein
Out[8]:
0.030308084751943774
In [9]:
P = stats.binom(65, 0.80)
P.cdf(49)   
Out[9]:
0.21541354210671845
In [10]:
P = stats.binom(68, 0.80)
P.cdf(49)   # muss kleiner 0.1  sein
Out[10]:
0.07269329945304003
In [11]:
P = stats.binom(67, 0.80)
P.cdf(49)   # muss kleiner 0.1  sein
Out[11]:
0.10773154689999606

Wir brauchen 68 Tiere

Geht auch grafisch mit seaborn

In [12]:
import seaborn as sns
import numpy as np
In [13]:
k = np.arange(50, 80)
P = stats.binom(k, 0.80)
B = P.cdf(49)
In [14]:
ax = sns.scatterplot(x=k, y=B)
ax.grid(True)
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Erwartungswert und Varianz¶

Erwartungswert¶

  • Der Erwartungswert ist derjenige Wert, den man im Mittel beobachten würde, wenn man das Experiment sehr oft wiederholt.

  • Bei einer Lotterie ist der Erwartungswert der Betrag, bei dem die Lotterie fair wäre, bei dem also weder der Spieler noch der Betreiber langfristig Geld verdienen würde.

Spiel 77¶

Klasse Ziffern Gewinn $$ k $$ $$P(X=k)$$ $$ k \cdot P(X=k) $$
I 7 177777.00€ 0.0000001 0.018€
II 6 77777.00€ 0.0000010 0.078€
III 5 7777.00€ 0.0000100 0.078€
IV 4 777.00€ 0.0001000 0.078€
V 3 77.00€ 0.0010000 0.077€
VI 2 17.00€ 0.0100000 0.170€
VII 1 5.00€ 0.1000000 0.500€
$\sum$ 0.998€

\begin{equation*} E(X) = 0.998\text{€} \end{equation*}

Erwartungswert¶

  • $ X $ eine diskrete Zufallsvariable
  • Der Erwartungswert von $X$ ist \begin{equation*} E(X) = \sum_k P(X=k) \cdot k \end{equation*}
  • Die Summe läuft über alle Werte $k$ von $X$

Beispiel: Würfel¶

Sei $ X $ die Augenzahl eines fairen Würfels. \begin{align*} E(X) &= \frac 16 \cdot 1 + \frac 16 \cdot 2 + \frac 16 \cdot 3 + \frac 16 \cdot 4 + \frac 16 \cdot 5 + \frac 16 \cdot 6 \\ &= \frac{21}6 = \frac72 = 3.5 \end{align*}

Im Mittel zeigt ein fairer Würfel $ 3.5 $ Augen

Variante des Spiels 77¶

  • Der Einsatz beträgt 2.50€. Bei welchem Hauptgewinn wäre das Spiel fair?
  • Hauptgewinn sei $J$. Dann \begin{align*} E(X) &= 0.000\,000\,1 \cdot J + 0.000\,001 \cdot 77\,777 \\ &\qquad {} + 0.000\,01 \cdot 7\,777 + 0.000\,1 \cdot 777 \\ &\qquad {} + 0.001 \cdot 77 + 0.01 \cdot 17 + 0.1 \cdot 5 \\ &= 0.000\,000\,1 \cdot J + 0.980 \end{align*}
  • Das soll gleich 2.50 sein. Also $ 0.000\,000\,1 \cdot J = 1.52 $ \begin{equation*} J = \frac{1.52}{0.000\,000\,1} = 15\,200\,000 \end{equation*}
  • Spiel 77 ist fair bei einem Hauptgewinn von 15.2 Millionen €

Varianz und Streuung¶

Die Varianz einer Zufallsvariablen $X$ ist definiert als \begin{equation*} \text{Var}(X) = \sum_{k=0}^\infty (k-\mu)^2 \cdot P(X=k) \end{equation*} wobei $ \mu = E(X) $.

Die Standardabweichung oder Streuung von $X$ ist definiert als die Wurzel aus der Varianz \begin{equation*} \sigma = \sqrt{\text{Var}(X)} \end{equation*}

Gleicher Erwartungswert, unterschiedliche Streuung¶

zwei Verteilung mit Erwartungswert 16

  • Links: Verteilung $X_1$ mit $E(X_1) = 16$ und $\sigma = 4$
  • Rechts: Verteilung $X_2$ mit $E(X_2) = 16$ und $\sigma = 1.26$

Beispiel: Fairer Würfel¶

  • $X$ sei die Augenzahl eines fairen Würfels. Der Erwartungswert von $X$ ist $\frac 72 = 3.5$
  • Varianz der Augenzahlen beim fairen Würfel \begin{align*} \text{Var}(X) &= \left(1 - \frac72\right)^2 \cdot \frac16 + \left(2 - \frac72\right)^2 \cdot \frac16 + \left(3 - \frac72\right)^2 \cdot \frac16\\ &\qquad{} + \left(4 - \frac72\right)^2 \cdot \frac16 + \left(5 - \frac72\right)^2 \cdot \frac16 + \left(6 - \frac72\right)^2 \cdot \frac16 \\ &= \frac{35}{12} \\ &= 2.91667 \end{align*}
  • Streuung \begin{equation*} \sigma = \sqrt{\frac{35}{12}} = 1.7078 \end{equation*}

Modell vs. Datensatz¶

Datensatz Modell
arithmetisches Mittel Erwartungswert
empirische Varianz Varianz
Stichprobenstreuung Streuung

Erwartungswert und Varianz der Binomialverteilung¶

Die Zufallsvariable $X$ sei binomialverteilt gemäß $B_{n,p}$. Dann \begin{align*} E(X) &= n \cdot p \\ \text{Var}(X) &= n \cdot p \cdot (1-p) \end{align*}

Rechenregeln¶

Rechenregeln für den Erwartungswert¶

  • Für jede Zahl $c$ und jede Zufallsvariable $X$ ist $E(c \cdot X) = c \cdot E(X)$

  • Für Zufallsvariablen $X_1, \dots, X_n$ gilt $$E(X_1 + \dots + X_n) = E(X_1) + \dots + E(X_n) $$

Rechenregeln für die Varianz¶

  • Für jede Zahl $a$ und jede Zufallsvariable $X$ gilt $\text{Var}(a + X) = \text{Var}(X)$
  • Für Zahl $c$ und jede Zufallsvariable $X$ gilt $ \text{Var}(c\cdot X) = c^2 \cdot \text{Var}(X)$
  • Für jede Zufallsvariable $X$ gilt $\text{Var}(X) = E(X^2) - E(X)^2$

Unabhängigkeit von Zufallsvariablen¶

Zwei diskrete Zufallsvariable $X$ und $Y$ sind stochastisch unabhängig, wenn für alle möglichen Werte $k$ und $m$ \begin{equation*} P(X=k, Y=m) = P(X=k) \cdot P(Y=m) \end{equation*}

Die Unabhängigkeit muss durch die Versuchsplanung gesichert werden

Zusätzliche Rechenregeln für unabhängige Zufallsvariable¶

Produktformel für den Erwartungswert: $X$ und $Y$ seien unabhängige Zufallsvariable. Dann \begin{equation*} E(X \cdot Y) = E(X) \cdot E(Y) \end{equation*}

Summenformel für die Varianz: $X$ und $Y$ seien unabhängige Zufallsvariable. Dann \begin{equation*} \text{Var}(X + Y) = \text{Var}(X) + \text{Var}(Y) \end{equation*}

Das schwache Gesetz der großen Zahl¶

Messwiederholungen¶

  • Warum erhöhen mehrere Messungen die Genauigkeit?
  • Warum braucht man 100-mal so viele Messungen, um die Genauigkeit zu verzehnfachen?

Rechenregeln für den Erwartungswert¶

  • Für jede Zahl $c$ und jede Zufallsvariable $X$ ist $E(c \cdot X) = c \cdot E(X)$
  • Für Zufallsvariablen $X_1, \dots, X_n$ ist $E(X_1 + \dots + X_n) = E(X_1) + \dots + E(X_n)$
  • $X$ und $Y$ unabhängige Zufallsvariable. Dann \begin{equation*} E(X \cdot Y) = E(X) \cdot E(Y) \end{equation*}

Rechenregeln für die Varianz¶

  • Für jede Zahl $a$ und jede Zufallsvariable $X$ gilt $\text{Var}(a + X) = \text{Var}(X)$
  • Für Zahl $c$ und jede Zufallsvariable $X$ gilt $\text{Var}(c \cdot X) = c^2 \cdot \text{Var}(X)$
  • $X$ und $Y$ unabhängige Zufallsvariable. Dann \begin{equation*} \text{Var}(X + Y) = \text{Var}(X) + \text{Var}(Y) \end{equation*}

Zwei unabhängige, identisch verteilte Zufallsvariable¶

  • $X_1$ und $X_2$ seien unabhängige Zufallsvariable, die derselben Verteilung gehorchen (also z.B. Messwiederholungen). Sei $Y = \frac12(X_1+X_2)$ der Durchschnittswert.
  • Der Erwartungswert von $X_1$ heiße $\mu$, also $E(X_1) = E(X_2) = \mu$
  • Die Streuung von $X_1$ heiße $\sigma$, also $\text{Var}(X_1) = \text{Var}(X_2) = \sigma^2$
  • $E(Y) = \frac12(E(X_1)+E(X_2)) = \mu$
  • $\text{Var}(Y) = \left(\frac12\right)^2 \text{Var}(X_1) + \left(\frac12\right)^2 \text{Var}(X_2) = \frac14 \sigma^2 + \frac14 \sigma^2 = \frac12 \sigma^2$
  • Also ist $\displaystyle \frac{\sigma}{\sqrt2}$ die Streuung von $Y$

Das schwache Gesetz der großen Zahl¶

  • "Mit ausreichend vielen Messwiederholungen lässt sich jede Genauigkeit erreichen"
  • Präziser: $X_1, \dots, X_n$ unabhängig, alle mit derselben Verteilung
  • $\mu = E(X_1) = \dots = E(X_n)$ und $\sigma^2 = \text{Var}(X_1) = \dots = \text{Var}(X_n)$
  • $\displaystyle Y = \frac1n (X_1 + \dots + X_n)$
  • $Y$ ist das arithmetische Mittel der $X_1, X_2, \dots, X_n$
  • Dann $E(Y) = \mu$ und die Streuung von $Y$ beträgt \begin{equation*} \sigma_Y = \frac\sigma{\sqrt n} \end{equation*}
  • Das bedeutet: Um die Streuung zu zehnteln, müssen 100 mal so viele Versuche durchgeführt werden

Beispiel¶

  • ein unbekannter Anteil einer Fischpopulation ist an einem Parasiten erkrankt
  • wir wollen diesen Anteil bestimmen, indem wir 10, 40, 1000 bzw. 1000 Fische untersuchen
  • Modellierung mittels Zufallszahlengenerator
In [15]:
import pandas as pd
import numpy as np
p = 0.15 # Das weiß die Experimentatorin nicht
P = stats.binom(1, p)
In [16]:
P.rvs(10).sum()
Out[16]:
0
In [17]:
P.rvs(40).sum()
Out[17]:
6
In [18]:
P.rvs(100).sum()
Out[18]:
14
In [19]:
P.rvs(1000).sum()
Out[19]:
142
  • Große Stichprobenumfänge machen das Ergebnis genauer
  • Große Stichprobenumfänge haben oft hohe Kosten
  • oder sind ethisch nicht zu rechtfertigen
  • Versuchsplanung erforderlich